Unsere Arbeitstage sind eh schon lang und dann auch noch um kurz vor 18 Uhr mit dem Kollegen aus der IT über einen Prozess sprechen? Du weißt genau, dass das Gespräch abgebrochen werden muss, denn irgendwie scheint ihr an einander vorbei zu reden.

Bei der Arbeit mit Prozessen gibt es unterschiedliche Sichtweisen auf Prozesse, die zu unterschiedlichen Betrachtungen durch die Beteiligten führen. Welche Dimensionen ich in diesem Zusammenhang als wichtig ansehe und mit welchen Fragen man die Komplexität in der Diskussion wieder reduzieren kann, erfährst du in diesem Beitrag.

Zu wissen, dass man bei der Arbeit mit Prozessen immer unterschiedliche Dimensionen ins Auge fassen muss ist nicht nur wichtig, um nach der Modellierung ein passendes Prozessmodell zu erhalten, welches in die gesamte Prozesslandschaft passt. Es geht auch darum, dass du dein Team, einzelne Personen und deren Reaktionen besser deuten und wieder auf den gleichen Nenner bringen kannst, wenn die Diskussionen mal ausschweifen.

Aus meiner Sicht gibt es drei wesentliche Dimensionen, die bei der Arbeit mit Prozessen zu berücksichtigen sind:

Rubik-Würfel: Unterschiedliche Dimensionen einer Prozessbetrachtung
  1. die Prozess-Tiefe
    (weit oben oder tief im Detail):
    Bei dieser Dimension geht es darum wie tief du dich innerhalb der Prozesslandschaft befindest. Bist du ganz weit oben, dann wirst du vermutlich eine Prozess-Abbildung des Geschäftsmodells deines Unternehmens betrachten. Befindest du dich tief unten, dann bist du bspw. auf der Ebene einzelner Buchungsabläufe innerhalb eines IT-Systems unterwegs.

  2. die (gewählte) Sicht auf den Prozess
    (fachliche vs. technische Betrachtung):
    Es macht einen großen Unterschied mit wem du über den Prozess sprichst. Stell dir also die Frage „Mit wem spreche ich eigentlich?“. Denn für den Kollegen aus der IT kann der Prozess unter Umständen ganz anders aussehen als für den Staplerfahrer mit Scanner in der Hand. Der eine betrachtet den Prozess im Sinne der Abbildung innerhalb eines IT-Systems inklusive der relevanten Daten, der andere sieht bei Betrachtung des gleichen Prozesses die physische Bewegung des Materials.

  3. die Prozess-Breite
    (lokale vs. globale oder Standard- vs. Sonderfall Betrachtung):
    Bei dieser Dimension geht es um die ggfs. betrachtete Prozess-Variante. Sprichst du über einen LKW-Transport in Indien, so sieht der Prozessablauf aufgrund der dort geltenden Vorschriften & Regeln vermutlich ganz anders aus als der in Deutschland. Unter Umständen können durch die Kombination mit der gewählten Sichtweise (also bspw. durch den IT’ler) sogar ganz andere Prozessvarianten entstehen. Auf einer niedrigen Tiefe, ist die Wareneingangsbuchung im SAP bspw. in 2 Varianten zu trennen je nach eingesetztem SAP-Modul (WM vs. IM). Für den Staplerfahrer sind diese Prozessvarianten oftmals nicht ersichtlich. Das sollten sie zumindest meiner Meinung nach nicht 😉

Die gewählte Nummerierung stellt dabei für mich auf eine Art Priorität dar. Es ist verdammt wichtig zu wissen, auf welcher Ebene ich mich innerhalb des Prozessmodells befinde. Spreche ich von einzelnen Aktivitäten, die mit einander zusammenhängen oder spreche ich von Zusammenhängen zwischen einzelnen Prozessen. Ganz oben in der Prozesslandschaft spreche ich sogar eher von Geschäftsmodellen anstatt von Prozessen.

Danach ist es besonders wichtig immer im Auge zu behalten mit wem ich eigentlich spreche. Ist es der Kollege aus der IT, den der Buchungsablauf und die zugehörigen Datenobjekte interessiert oder spreche ich mit dem Top-Management?

Und an dritter – keinesfalls letzter, sondern ebenfalls sehr wichtiger – Stelle gilt es die Frage zu klären, ob man sich gerade den Standard-Ablauf (dafür gibt es sogar einen Fachbegriff: den „Happy-path“) oder eine bestimmte Prozess-Variante oder gar einen totalen Sonderfall anschaut.

Obwohl du es vielleicht gar nicht merkst, neigen wir oftmals dazu lieber über den „Sonderfall“ als den „Standard“ zu sprechen. Eine solche Diskussion führt aber oftmals nicht zum gewünschten Ergebnis.

In Summe kann ich dir nur ans Herzen legen:
Achte darauf, wo du dich mit deinem Projekt oder deinem Team bei der Arbeit mit Prozessen innerhalb des obigen Würfel befindest und reflektiere regelmäßig, ob die zuvor gewählte Einschätzung noch passt.

Solltest du feststellst, dass du bei der Arbeit mit deinem Team auf einmal ganz wo anders bist, als ursprünglich geplant: Kein Problem! Offen darüber kommunizieren und neu justieren. Nobody is perfect und uns wurde allen nicht die Arbeit mit den komplexen Abläufen der heutigen, verteilten Arbeitswelt oder den standardisierten ERP-Anwendungen in die Wiege gelegt. Im Austausch über deine Erkenntnisse der Reflexion kommen oftmals sehr hilfreiche Hinweise aus deinem Team auf, die du nutzen kannst noch besser zu werden.

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